Planlos, sprachlos, mutlos – Bilanz der digitalen Bürgerrechtsbewegung Drucken

Eine Provokation als Antwort auf den Artikel "Für eine digitale Bürgerrechtsbewegung" (Geraldine de Bastion, Markus Beckedahl).

 

Mit der roten, lachende Sonne auf dem gelben Anti-Atom-Anstecker wurde im vergangenen Jahrhundert ein identitätsstiftendes Symbol geschaffen, das bis heute seine Wirkung entfaltet. Noch immer steht diese Ikone für ein politisches Statement. Welches Symbol würde man heute wählen, um etwas Identitätsstiftendes für eine digitale Bürgerrechtsbewegung zu finden? Mein Favorit wäre der Rollkoffer!

Die digitale Bürgerrechtsbewegung - oder diejenigen, die sich in der Öffentlichkeit dazu zählen - formuliert weder kohärente politische Ziele noch eine begründete gesellschaftliche Agenda. Sie besteht vielmehr als Gruppe von VertreterInnen von Ego-Organisation, welche sich selber oder bestenfalls die von ihnen gegründete Website oder Kampagne promotet. Dazu gehört ganz selbstverständlich die permanente Teilnahme im mobilen Veranstaltungszirkus, der prozessionsartig an den immer gleichen Orten auftaucht – unter dem beruhigenden Rollgeräusch mobiler Kleidertransportboxen.

Nun stellen de Bastion und Beckedahl wieder einmal fest, dass den Promi-Gruppen der digitalen Bürgerrechtsbewegung in den vergangenen 18 Monaten nichts, aber auch gar nichts gelungen ist - noch nicht einmal eine einigermaßen funktionierende Vernetzung. Man kann langsam den Eindruck gewinnen, dass in Deutschland insbesondere durch die Snowden-Veröffentlichungen jedwedes bundesweite bürgerschaftliche Engagement zu diesem Thema im Keim erstickt wurde. de Bastion und Beckedahl finden auch rasch eine Ursache: Das Thema 'Überwachung' sei zu komplex, um es zu vermitteln. Und es gibt auch gleich eine Lösung: Mehr Geld, am besten für die eigenen, eh schon gesellschaftlich erfolglosen Projekte. Das ist keine Strategie, das ist Dreistigkeit, insbesondere, wenn auf die erfolgreichen Kampagnen der Anti-AKW-Bewegung verwiesen wird.

Der Artikel wirft zwar Fragen auf, scheitert aber bei der Suche nach Antworten und verkommt daher zu einem Bettelbrief für Spenden. Eine Bereitschaft, sich ernsthaft auf Antwortsuche zu begeben oder gar Konsequenzen aus der Misere zu ziehen, ist nicht zu erkennen. Denn beides wäre ja anstrengend, passt nicht in einen Blog und könnte am Ende ja auch noch weh tun, weil es den eigenen Bedeutungsverlust zur Folge hätte!

Und wenn de Bastion und Beckedahl schon den Vergleich mit X1000malquer ziehen, dann bitte in ganzer Schönheit: X1000malquer bedeutet Graswurzelwiderstand insbesondere von vor-Ort-Gruppen mit dem Willen, massiv zivilen Ungehorsam zu leisten, bis sich die Verhältnisse geändert haben. So etwas ist nicht mit Geld zu kaufen, sondern entspringt einer Haltung, die die digitale Bürgerrechtsbewegung zur Zeit einfach nicht vorweisen kann.  Wo sich Greenpeace, Robin Wood und Bauerngruppen angekettet und abgeseilt haben, produzieren die digitale Bürgerrechtsbewegung nur WebSites.

Man sollte das Gespür der Bevölkerung nicht unterschätzen, für welche Ziele es sich wirklich lohnt, die eingefahrenen Bahnen des Alltags zu verlassen und sein Gesicht für eine politische Aussage auf der Straße zu zeigen. Auch die aktuellen Massenkundgebungen für und gegen Pegida machen dies deutlich. Wenn man jede Woche den Untergang der Demokratie heraufbeschwört – folgenlos – ist das ganze bald nur noch ermüdendes Krakeelen.

Wenn aber Sprachrohre wie de Bastion und Beckedahl tatsächlich die Grundfesten unserer Gesellschaft ernsthaft bedroht sehen, müssen sie irgendwann mal vom Schreibtisch aufstehen. Dies ist bisher nicht geschehen, und daher hat die digitale Bürgerrechtsbewegung das Stadium des unglaubwürdigen Alarmismus längst erreicht. Sie ist nicht mal in der Lage, einen Plan aufzuzeigen, um wenigstens auf Diskursebene den Verantwortlichen an den politischen Schaltstellen die Stirn zu bieten. Denn der aktuell geführte Diskurs hat nicht zum Ziel, die gesellschaftlichen Verhältnisse umzustürzen, sondern die persönlichen Verhältnisse zu verbessern. Die Verkaufszahlen des eigenen Buchprojekts, die Reichweite des persönlichen Blogs sind von größerer Bedeutung als die Herausforderung, wie die Bundesregierung mit der Machtfrage konfrontiert werden kann.

Diese Aussage aus einer an mich gerichteten Mail fasst das ganze Elend zusammen: "Wozu wir bisher nicht in der Lage waren, war und ist vielmehr, mehr Leute von der Wichtigkeit unserer Sache zu überzeugen, um die kritische Masse zusammen zu bekommen, die bei der Anti-Atombewegung zusammen kam." Mehr Geld wird das nicht ändern. Um überzeugen zu können, muss eine digitale Bürgerrechtsbewegung als 'glaubwürdig' wahrgenommen werden. Um glaubwürdig zu sein, werfen die bekannten Akteure aber zu wenig in die Waagschale.

Dabei hat sich passend zur Politiksimulation der Großen Koalition im Netz eine Widerstandssimulation gegen Massenüberwachung entwickelt. Diese Simulation wird aus unterschiedlichen Motiven weiter betrieben, hat aber keineswegs zum Ziel, eine Änderung der Verhältnisse herbeizuführen. Die Bevölkerung hat sich von beidem abgewandt, so dass aktuell zaghafte Ansätze eines glaubhaften Widerstandes nicht durchdringen. Will eine digitale Bürgerrechtsbewegung hier den Draht zu den Menschen wiederfinden, ist ein ehrlicher Neubeginn unumgänglich.

Dieser Neubeginn kann nur mit einer schonungslosen Analyse des eigenen Versagens beginnen und sollte in eine klare Ansage an die Regierung münden: Die politischen Machtverhältnisse müssen verändert werden, um die demokratische Gesellschaft vor weiterem Schaden zu bewahren. Demokratie und Freiheit werden nicht nur in Redaktions- sondern auch in Serverräumen verteidigt. Doch wo die Journalisten sich zum Beispiel mutig der Sprache der Satire bedienen können, ist die digitale Bürgerrechtsbewegung  sprach- und mutlos.

Wenn es also einen Plan geben sollte, um eine digitale Bürgerrechtsbewegung zu mobilisieren, wäre er eben dieser: eine Sprache für den digitalen Widerstand im 21. Jahrhundert zu finden, welche die Menschen auf die Straße bringt. Dazu bedarf es nicht finanzieller Mittel, sondern es sind Haltung, Mut, Kreativität und Glaubwürdigkeit vonnöten.

 

 

Zuletzt aktualisiert am Mittwoch, den 14. Januar 2015 um 12:53 Uhr