Nerd-Hamster im Systemrad Drucken

Warum eine Schulnoten-Bewertung für die Regierungen beim Überwachungsskandal zu kurz greift und das tiefer liegende Problem fahrlässig verschleiert.

Es ist interessant mitanzusehen, dass schon jetzt allerorten Bilanz gezogen wird inmitten des andauernden Überwachungs- und Geheimdienst-Desasters. Dies ist sicher auch der Tatsache geschuldet, dass man nun immer wieder auf einen Jahrestag zurück blicken kann, an dem 2013 aus dem Snowden-Dokumente-Reservoir neue Informationen veröffentlicht wurden.

Nun verteilt also Sascha Lobo in seiner SPIEGEL-ONLINE-Kolumne als Destillat einer Zwischenbilanz Schulnoten – nicht an die Geheimdienste oder Internet-Konzerne, die mit unseren Daten Ihre unersättlichen Speicher füllen (die hätten dafür eine Eins plus verdient), sondern an die Regierungen der westlichen Demokratien wie USA, Neuseeland, Frankreich und Deutschland.

Klar ist es einfach, hier wieder zu zeigen, wie verlogen die PolitikerInnen sind und wie Rücksichtslos sie auf die Amnesie des Wahlvolks setzen. Kurz: Wie kackendreist die PolitikerInnen die BürgerInnen-Verarsche durchziehen. Auch für diese Dreistigkeit sollte man eine Eins plus ins Klassenbuch schreiben statt die von Lobo angesetzte Sechs bis Sieben. Denn offensichtlich haben die Regierungen mit ihrer Lügen-Strategie weltweit Erfolg.

Um es noch einmal deutlich zu sagen: Die gesamte Internet- und Geheimdienstaffäre hat bis zum heutigen Tag keine Konsequenzen nach sich gezogen - und das nirgendwo auf der Welt. Kein Politiker musste zurücktreten, keine Regierungschefin stand vor einem Untersuchungsausschuss Rede und Antwort, keine Regierung wurde für diesen Skandal aus dem Amt gewählt.

Dieses Grundtatsache wird von Lobo in keinem Satz erwähnt, spielt aber bei der meisterhaften Verarsche durch die Politik die entscheidende Rolle: Warum sollte sich ein Politiker um Wahrhaftigkeit und Ehrlichkeit bemühen, wenn der Pöbel offensichtlich angelogen werden möchte?

Um die katastrophale Situation aber noch auf eine neue Desasterstufe zu heben, zeigt sich nun aber auch, dass selbst kleinste Spuren von Widerstand in der Zivilgesellschaft sich als unfähig erweisen, um politische Akteure aufzutreten. Nur zur Erinnerung: Nach einem Jahr Edward Snowden erfreuen sich die Veranstalter von 'Freiheit statt Angst' bei einer bundesweiten Demo gegen Überwachung, die von über 80 Gruppen getragen wir, an 6000 TeilnehmerInnen. In Berlin! So viele ProtestiererInnen kriegt jede Massentierhaltungskampagne in die Pampa von Mecklenburg-Vorpommern mobilisiert! Per Telefon!

Es ist billig, die Schuld und das Versagen bei Behörden und Regierung zu suchen. Fakt ist doch vielmehr, dass nicht nur kein politischer Widerstand gegen Überwachung existiert – er ist sogar noch unfähig, sich selber zu organisieren. Wo heute noch jeder Atomtransport durch Deutschland vom Widerstand registriert, beobachtet oder blockiert wird, wo jede Anhörung zur Endlagersuche in ein Widerstands-Happening umgedeutet wird, wo die Informationen über Verzögerungen beim Atomausstieg direkt die UnterstützerInnen im Land erreichen, da kreisen die Nerds in ihrer Widerstands-Blase wie die Hamster um die Nabe in ihren Laufrädern.

Warum schafft es der Nerd-Hamster nun aber nicht, sein Laufrad zu verlassen und seine Ideen in die Gesellschaft hinein zu kommunizieren? Die Antwort ist so simpel wie menschlich und so alt wie der Sysiphos-Mythos: Genau so wie der alte griechische Held seiner Existenz Sinn gibt in dem Wälzen von Steinen, erschöpft sich der Nerd-Widerstand an Systemfragen: Linux oder Windows, Outlook oder Thunderbird, Facebook oder eigenes CMS? Der Nerd-Sysiphos wälzt keine Steine, sondern Betriebssystem-Code und ist unfähig zu erkennen, dass er den Gipfel der abhörsicheren Kommunikation nie erreichen kann. Er ist unfähig, seine eingeschränkte Perspektive hinter sich zu lassen, um die große entscheidende Systemfrage zu stellen, die politisch und gesellschaftlich von Bedeutung ist:

Diktatur oder Demokratie?

Zuletzt aktualisiert am Mittwoch, den 17. September 2014 um 16:30 Uhr