Offener Brief an Minister Gabriel zu 'Münster gegen TTIP, CETA, TiSA' Drucken

Sehr geehrter Herr Gabriel,


vielen Dank für Ihr Schreiben zum Thema 'Münster gegen TTIP, CETA, TiSA', das mich am Wochenende erreicht hat. Als Absender sind Sie in Ihrer Funktion als Minister für Wirtschaft und Energie benannt. Aber mit diesem offenen Brief wenden ich mich auch ausdrücklich an den Vorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD).

Warum der Hinweis auf die SPD bereits am Anfang meiner Antwort? Nun, die Ereignisse überschlagen sich gerade in der Weltpolitik und mit dem Wahlsieg von Donald Trump in den USA stehen wir in Deutschland vor Herausforderungen, die wir noch gar nicht absehen können. Gleichzeitig bereiten sich die Parteien hier auf die Wahlkämpfe im nächsten Jahr vor. Angela Merkel tritt zum vierten Mal als Kanzlerin an, während die SPD ja noch den Kanzlerkandidaten oder die Kanzlerkandidatin sucht.

Was hat dies nun alles mit 'Münster gegen TTIP, CETA, TiSA' zu tun? Die einfache Antwort: Alles! Denn längst ist klar, dass gerade die Verwerfungen der Globalisierung und des freien Welthandels in den Gesellschaften des Westens verheerende Zerstörungen hinterlassen haben. Diese Zerstörungen liefern einen wesentlichen Grund für den Erfolg rechter Parteien und Faschisten wie Trump, AfD und Marie Le Pen. Zeitungsartikel und Blogposts stapeln sich real und virtuell, in denen insbesondere das Versagen der politischen Linken (zu der zähle ich die SPD mal noch mit meinem guten Herzen) analysiert und gebrandmarkt wird.

Neben meinem Keyboard liegt der Leitartikel von Markus Feldenkirchen aus der aktuellen Ausgabe des SPIEGEL, dessen letzten Absatz ich hier einmal in Gänze zitieren möchte, fasst er doch den Disḱursstatus aufs wundervollste zusammen:

Die Linke müsste den Vergessenen endlich wieder ein großes, gar dreistes Aufstiegsversprechen machen, in dessen Zentrum massive Investitionen in öffentliche Kindertagesstätten, Schulen und Universitäten stehen. Sie müsste Steuerflucht, Finanzspekulationen und irrwitzigen Managerboni glaubwürdig den Kampf ansagen. Sie müsste den Mut zur stärkeren Besteuerung von Vermögenden und Spitzenverdienern aufbringen. Sie müsste die Vision einer Gesellschaft anbieten, in der Wohlstand und Zufriedenheit wieder von allen erreicht werden kann.

 

Sehr geehrter Herr Gabriel,

Sie selber haben wie einer Ihrer Vorgängen im Amt des Vorsitzenden der SPD, Gerhard Schröder, von dem Aufstiegsversprechen der 60er und 70er Jahre profitiert. Ihnen war es möglich, sich aus 'kleinen' Verhältnissen bis in höchste und verantwortungsvollste Ämter in Deutschland vorzuarbeiten. Dies war auch ein Erfolg der Sozialpolitik der SPD.

Heute liegt dieses Versprechen in Trümmern. Und die SPD trägt an diesem Zustand mit Schuld.

Doch jetzt ist nicht die Zeit, zurück zu schauen, sondern dieses Versprechen endlich, wie von Feldenkirchen gefordert, zu erneuern und einzulösen. Denn längst geht es nicht mehr um Sozialpolitik - es steht schlichtweg der Bestand der Demokratie in Deutschland und weltweit auf dem Spiel.

Denn der Aufstieg der rechten Gruppen und Faschisten zeigt deutlich, dass sich die Verzweiflung der Verlierer längst Verbündete gesucht hat, die die Probleme zwar aufnehmen, aber nicht lösen werden. Statt eine konsequente strategische Antwort zu liefern, hat die Linke weltweit den Demagogen und Hasspredigern das Feld überlassen. Dieses politische Desaster ist nun in seinem Endspiel angekommen und die Linke muss nun reagieren.

 

Sehr geehrter Herr Gabriel,

ich fordere Sie auf, angesichts der Situation insbesondere in den USA jede weitere Liberalisierung des Welthandels hinten an zu stellen und das Thema 'Gerechtigkeit' mit höchster Priorität anzugehen.

Banken brauchen keine Rente - Menschen schon.

Maschinen benötigen kein Arbeitsrecht - Menschen schon.

Konzerne wählen nicht - Menschen wählen.

Die Verwerfungen durch den Neoliberalismus müssen jetzt entschlossen bekämpft werden. Die Grundlagen für eine solidarische, faire und nachhaltige Zukunft müssen jetzt derart in der Gesellschaft verankert werden, dass diese durch kein Freihandelsabkommen mehr aufgehoben werden können. Die Verantwortung der Unternehmen und Spitzenverdiener für das solidarische Gemeinwesen muss jetzt derart eingefordert werden, dass diese sich nicht wieder davon stehlen können.

Das, Herr Gabriel, ist jetzt und sofort Ihre Aufgabe - insbesondere als Vorsitzender der SPD. Alle anderen Ziele haben dahinter zurück zu stehen, denn sie gefährden unsere Zukunft und die unserer demokratischen, freien und nachhaltigen Gesellschaftsidee.

Solange noch eine Autobahnbrücke bröselt oder eine Schultoilette in Deutschland aus Geldmangel vor sich hin schimmelt, gehört der Freihandel in die 'Kann-Warten'-Ablage.

 

Sehr geehrter Herr Gabriel,

ich warte nun darauf, dass Sie sich der linken Tradition Ihrer Partei als würdig erweisen. Zeigen Sie, dass Sie an der Seite der Abgehängten, Vergessenen und Globalisierungsverlierer stehen, Lösen Sie das Aufstiegsversprechen ein, das Ihnen überhaupt erst Ihre erfolgreiche Biographie ermöglicht hat. Tun Sie dies für ein besseres Deutschland.


Mit solidarischen, nachhaltigen und freundlichen Grüßen


Jürgen Blümer

Drensteinfurt, 20.11.2016

Zuletzt aktualisiert am Sonntag, den 20. November 2016 um 16:16 Uhr