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Worum es tatsächlich geht PDF 

Reichen die traditionellen Formen von Protest und Widerstand aus, um den Rechtsruck in der Gesellschaft wirkungsvoll zu stoppen? Wie sollte dem neuen Faschismus in Deutschland entgegen getreten werden - auch am 10.02. anlässlich des AfD-Neujahrsempfangs im Rathaus von Münster.

 


Ja - es geht auch darum, gegen ein AfD-Parteiprogramm aufzustehen, das den Klimawandel leugnet, Menschen ausgrenzt, die Gesellschaft spaltet, gesellschaftliche Gruppen zu Sündenböcken abstempelt, der Wirtschaft schadet und die Gräben im Europa vertieft.

Und es geht auch um eine zweite Ebene, auf der Widerstand zu leisten ist - Widerstand gegen eine Ideologie, die Angst, Wut und Neid in eine irrationale Hetze gegen die freie, offene, demokratische Gesellschaft umsetzt. Es geht gegen eine Volksbewegung anzukämpfen, deren1000jähriges Zerfallsdatum bereits seit 70 Jahren überschritten ist.

Aber können wir allen mit diesen Mitteln die freie, offene und demokratische Gesellschaft von den Angriffen politischer Extremisten schützen? Wenn wir, die wir am 10.02. in Münster auf die Straße gehen werden, uns aufrichtig in die Augen schauen, wissen wir genau, das dies allein nicht ausreichen wird. Denn was sollen wir weiter tun, wenn alle Argumente noch mehr zugespitzt wurden, wenn alle Kulturfeste noch bunter geworden sind, die Lichterketten noch länger und die Stimmen noch lauter geworden sind?

Eine Antwort auf diese Frage hat die Historikerin Anne Applebaum in einem SPIEGEL-Interview gegeben:

"Wir können nicht mit der Haltung weitermachen, dass Politik immer nur das ist, was von anderen Leuten gemacht wird, in entfernten Hauptstädten. Auch Protest allein genügt nicht. Wenn diejenigen, die sich an Demonstrationen beteiligen, in der Lokalpolitik aktiv werden oder selber kandidieren, erreichen sie mehr. Wenn dieser ganze Aufruhr dazu führen sollte, dass sich mehr Leute engagieren, besteht eine kleine Chance, dass unsere Demokratie am Ende lebendiger wird."

Was wir benötigen, ist eine Elektroschocktherapie, um unsere freie, offene, demokratische Gesellschaft aus dem Wachkoma wieder zurück ins Leben zu holen. Wir müssen endlich begreifen, dass Politik zu wichtig ist, um diese allein den PolitikerInnen zu überlassen. Zulange haben wir es uns in unseren Komfortzonen gemütlich gemacht und nicht über den Horizont unsere sozialvernetzten Echokammern hinaus geschaut. Wir haben Alternativlosigkeit und Krötenschlucken-Kompromisse zu oft akzeptiert, ohne dabei zu sehen, wie mehr und mehr die Lebendigkeit aus den politischen Prozessen entwich. Wir haben nicht mehr wahrgenommen, was an den Rändern der Gesellschaft passiert, bis diese Ränder das Vertrauen in Politik und Gesellschaft verloren hatten.

Jetzt brauchen wir wieder Menschen, die sich trauen, ihr Gesicht in den Wind zu halten und für ihre Meinung einzustehen. Wir brauchen den fairen Streit, um im Austausch der Argumente um die beste Lösung zu ringen. Wir müssen den Diskurs aus den Hinterzimmern und Maschinenräumen der Politik heraus auf die Marktplätze der Gesellschaft holen. Und wo keine Orte für Diskussionen existieren, müssen diese wieder geschaffen werden. Der Mehltau auf den Zahnrädern in den politischen Systemen muss wegblasen werden.

Denn wir haben die freie, offene, demokratische Gesellschaft von unseren Eltern und Großeltern nur erhalten, um diese an die uns nachfolgenden Generationen weiterzugeben. Dieses Gesellschaftsmodell befindet sich jedoch aktuell in einem sehr schlechten Zustand - nicht nur in Deutschland und Europa, sondern weltweit.

Es ist nun unsere Aufgabe, dieses wertvolle Erbe nicht zu verschleudern, sondern es zu erhalten. Und dazu müssen wir uns einbringen und dabei begreifen, dass kein Post oder Tweet ein politisches Engagement ersetzen kann. Der Einsatz von Menschen, zahlreichen Menschen, für unsere offene, freie, demokratische Gesellschaft ist überlebensnotwendig. Und dieser Einsatz muss jeden Tag wieder neu in die Waagschale geworfen werden.

Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal Madonna zitieren müsste. Doch die Ansage bei ihrem Auftritt auf dem "Women's March" in Washington einen Tag nach der Inauguration von Donald Trump trifft den Kern der bevorstehenden politischen und gesellschaftlichen Auseinandersetzung:

"Fuck you. ... The revolution starts now."

Für Deutschland - dem Land mit der weltweit größten Phobie vor Revolutionen - bedeutet dies: Der Marsch durch die Institutionen ist nie zu Ende, sondern muss jeden Morgen mit dem ersten Schritt neu begonnen werden - und zwar draußen auf der Straße.

Wir können gemeinsam am 10.02. einen solchen, großen Schritt wagen.

Jürgen Blümer
Münsterland, 21.01.2017

(Geschrieben unter der Dauerschleife von Bob Dylans "It's Alright Ma" mit den passenden Zeilen zur aktuellen weltpolitischen Lage: "But even the President of the United States sometimes must have to stand naked.")