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Partei, dem Tode geweiht

Der putzige Abgesang über die Grünen in der Huffington Post wäre eine gute Vorlage für den Märchenabend auf einem FDP-Bundesparteitag. Leider ist das satirische Potential des Themas nicht voll ausgeschöpft, so dass eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Inhalt weniger über die Grünen, aber mehr über die politische Gesamtsituation aussagt.

Die Polemik von Sebastian Christ zu Sinn und Zukunft der Öko-Partei liest sich wie der Bericht eines Blinden, der sich an einem Essay über Farben versucht. Schon der Einstieg vermittelt den Eindruck, dass hier der Beweis angetreten werden müsse, dass Journalismus in Deutschland im 21. Jahrhundert zweifelsfrei auch ohne Sachkenntnis stattfinden kann. Dankbarkeit gegenüber den Grünen? Tja - wo soll man da auch sinnvoll anfangen? Vielleicht bei dem Blick auf einen Stadtpark Mitte der 80er Jahre, in dem sich Einwegdosen zu Berge türmen? Oder auf Stadtplanungsvisionen in den 70er-Jahren, die einer vollmobilisierten KFZ-Gesellschaft dem Weg bahnen wollten? Auf Dünnsäure-Verklappung, straffreie Vergewaltigung in der Ehe, Waldsterben und Homophobie? Die Themenpalette wäre so bunt wie das Banner der Lesben- und Schwulenbewegung, wenn man mal genau hinschauen möchte. Und wer einmal die Rede von Waltraud Schoppe gesehen und gehört hat, kann angesichts des Muts, mit dem menschenverachtende Tabus gebrochen wurden, nur eins empfinden: Dankbarkeit!

Für diesen Mut bezahlen die Grünen seit ihrer Gründung einen hohen Preis. Denn obwohl ihre Kernthemen sich immer mehr in der Gesellschaft durchsetzen (wie z.B. keine Wehrpflicht-Armee, Atomausstieg, Energiewende, Ehe-für-alle, Frauenrechte, Artenschutz),  werden sie von den Wählerinnen und Wählern regelmäßig mit unterirdischen Wahlergebnissen abgestraft. Die Ausnahme in Baden-Württemberg zeigt dabei lediglich, dass dort, wo sich die Grünen angepasst geben, das Potential zur Volkspartei durchaus vorhanden ist. Dieses ist aber lediglich in der Person Kretschmann begründet, der sich als Landesvater genau so gut in Szene setzen kann wie ein Öttinger oder Späth. Womit der Absturz der Grünen in Südwest-Deutschland auf Normalniveau nach dem Rücktritt des aktuellen MPs garantiert ist.

Die Grünen prägen das Land eben nicht mit einer politischen Macht wie die CDU oder einer leidensfähigen Anhängerschaft wie die SPD. Hier liegt Christs zentraler Denkfehler beim Aufbau seiner Polemik. Die Grünen prägen das Land, indem sie unbequeme Themen mit einem sicheren Gespür von politischer Todessehnsucht zu Ende spielen. 5 D-Mark für den Liter Benzin - das war der Veggi-Day der 90er. Und beides war und ist richtig! Der aktuelle CDU-Umweltminister ist dabei, auf die Massenproteste gegen Massentierhaltung zu reagieren. Und die Dekarbonisierung der Gesellschaft hat längst die G7-Staaten erreicht.

Dass Christ dieser Kernfehler seines Artikels nicht aufgefallen ist, grenzt schon an politischer Vollnaivität. Denn ausgerechnet der NSA-Untersuchungsausschuss wird als gelungene Oppositionsarbeit vorgeführt. Wer einmal auf einer der letzten Freiheit-statt-Angst-Demos mitgegangen ist, der weiß, dass dieses Thema bei den Wählerinnen und Wählern genau NICHTS auslöst. Und die Bedeutungslosigkeit der Piraten ist eben auch damit zu erklären, dass das Kernthema der Freibeuterpartei - die Welt der Daten und des Internets - der Bevölkerung schlichtweg egal ist.

Geradezu boulevardesk wirkt Christs Politikverständnis angesichts der Tatsache, welchen Beitrag die Grünen zur gesellschaftlichen Streitkultur leisten. Diese Leistung ist nicht hoch genug einzuschätzen in Zeiten einer übermächtigen Unions-Kanzlerin, die mit ihrer Strategie der asymmetrischen Mobilisierung jede politische Debatte erstickt mit dem Ziel, in einer apolitischen Gesellschaft die Geschäfte der Bundeskanzlerin als konzernübergreifende Vorstandsvorsitzende zu führen. Die Streitkultur der Grünen grenzt sich dabei wohltuend von der Rauflust der CSU ab, bei der sich die Auseinandersetzung stets um Macht und Personen dreht. Inhalte haben in der bayerischen Regionalpartei lediglich die Kulisse für den nächsten Schlagabtausch zu liefern beim Kampf um die Erweiterung des persönlichen Machtbereichs. Man erinnere sich an die Debatten zum Balkan-Krieg und zum zweiten Atomausstieg. Hier wurde mit offenem Visier das ausgetragen, was bei der Sozialdemokratie mit einem 'Basta' hinter verschlossenen Türen geregelt wird - siehe dazu die Debatte zur Vorratsdatenspeicherung.

Ich erinnere hier nochmals an die historische Rede von Klaus Töpfer aus dem Jahr 2011 auf dem Sonderparteitag zum Merkel-Atomausstieg: "Respekt vor der Entscheidung, einen solchen Sonderparteitag zu machen. Und ich füge hinzu: Ich bin gerne bereit ..., zu jedem anderen Sonderparteitag einer Partei hier in Deutschland zu Energie zu kommen." Ich erinnere hier nochmal an die Rede von Jochen Stay aus dem Jahr 2013 zum Gorleben-Antrag: "Einige von Euch kennen mich ja als jemanden, der kein Blatt vor dem Mund nimmt, wenn es darum geht, die Grünen an ihren eigenen Ansprüchen zu messen. Ich bin kein großer Diplomat und rede Klartext, auch wenn es manchmal weh tut. Aber - seht es einmal so: Die Grünen sind die Partei, bei der ich davon ausgehe, dass es sich lohnt, wenn ich deutliche Kritik übe, denn ich weiß, dass ich mit vielen von Euch gemeinsame Ziele teile." Bis heute sind die Grünen die einzige Partei, die dem Merkel-Atomausstieg auf einem Sonderparteitag zugestimmt hat. Dazu von Christ kein Wort in seiner Polemik.

Zu diesem irrlichternden Ideen-Potpourri über die Grünen passt dann auch der Schlusssatz: "Denn diese Bundesregierung bräuchte eigentlich die beste nur denkbare Opposition." Dumm nur, dass das Wahlvolk anders entschieden hat! Sollen die Grünen dieses Dilemma dadurch lösen, dass sie sich wie eine grünlackierte CDU aufführen und langhaarigen Veganer mit Vollbart in den Kommunalparlamenten einer Glattrasur unterwerfen? Oder soll die Hosenanzugpflicht für alle Mandatsträgerinnen eingeführt werden? Nüchtern betrachtet sind die Grünen eben nur eine 'rund-10-Prozent-Partei' auf Bundes- und Landesebene. Denn die Deutsche Seele sehnt sich im tiefsten Inneren eben eher nach sicherer Rente und durchfinanziertem Eigenheim statt auf Abenteuer und Aufbruch zu setzen.

Und genau aus diesem Grund wird es dir Grünen noch länger geben, als manchem Trauerredner lieb ist. Denn der Problemdruck, dem sich Deutschland und Europa gegenüber sehen in den nächsten Jahren, wird eher zunehmen. Das Zeitalter des Durchmerkelns neigt sich dem Ende zu. Das Fenster für einfache Lösungen zu komplexen Problem schließt sich immer schneller. Und danach geht es ans Eingemachte: Wie schaffen wir es, die Millionen Kriegsflüchtlinge in Europa zu integrieren, wenn wir gleichzeitig den demoskopischen Wandel bewältigen müssen? Wie können wir die Energieversorgung gestalten bei gleichzeitigem rapiden Wandel des Klimas in Europa? Wie organisieren wir die Nahrungsversorgung, ohne das Grundwasser weiter zu verseuchen? Wie lagern wir den Atommüll? Wie reinigen wir die Meere von den Fluten an Plastikmüll? Wie setzen wir eine Kreislaufwirtschaft um? Wie wollen wir auf diesem Planeten leben, ohne ihn zu vernichten?

Von welcher Partei können wir da unbequeme Antworten auf diese Fragen erwarten? Von der Union? der SPD? Den Linken? Oder bei den unbequemen grünen Öko-Spontis, die bereits seit 1968 einen Plan haben, wie diese Gesellschaft umzugestalten ist? Die Grünen erscheinen Christ dem Tode geweiht unter dem Druck der Deutschen Sehnsucht nach starken Lösungen ohne Komfortverlust. Doch der Kampf um die Zukunft in der politischen Arena hat gerade erst begonnen. Das Verwesen im Staub der Geschichte bleibt vorerst anderen Parteien vorbehalten.

 

Zuletzt aktualisiert am Mittwoch, den 29. Juli 2015 um 06:27 Uhr