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Made in Hong Kong: Widerstand PDF Drucken E-Mail

 

Im Zusammenhang mit der Affäre um die NSA/BND-Überwachungen und den Snowden-Veröffentlichungen wird immer wieder von einem eklatanten Verfassungsbruch gesprochen, den ja bereits mehrere Experten, u.a. ehemaligen Verfassungsrichter, diagnostiziert hatten. Dennoch ist das offensichtliche Unrechtshandeln bis heute nicht zu stoppen und die Diskussion über die Überwachungsskadale hat längst den Status der Blutleere erreicht. Außer einem versprengten Haufen sogenannter Netzaktivistinnen interessiert sich niemand mehr für das Geschehen - trotz permanenter Berichterstattung in den Medien.

 

Das wirft nun die Frage auf, wie eine angemessene Reaktion auf so einen Verfassungsbruch aussehen könnte. Eine Antwort könnte eine Verfassungsklage sein, um das Recht auf Nicht-Überwachung einzuklagen. Einen ähnlichen Schritt gehen die Oppositionsparteien im Bundestag, LINKEN und GRÜNE, um eine Vernehmung Edward Snowdens in Deutschland vor dem NSA-Untersuchungsausschuss zu erzwingen.

Abgesehen von der Komplexität und Langwirigkeit des Vorhabens einer Verfassungsklage gibt es weitere Argumente, die gegen einen solchen Weg sprechen. Dazu zwei Beispiele aus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland:

- Trotz der in §1 des Grundgesetzes verankerten, unantastbaren Würde des Menschen hat es bis zum Einzug der GRÜNEN in den Bundestag gedauert, ehe eine Debatte über die Vergewaltigung in der Ehe überhaupt den Raum des Politischen erreichte. Erst unter massivem öffentlichen Druck konnte 1997  gegen die Stimmen von zahlreichen CDU /CSU-Abgeordneten der Straftatbestand der Vergewaltigung in der Ehe vom Bundestag verabschiedet werden.

- Die Schleifung des Asyl-Paragraphen durch CDU, CSU und SPD im Jahr 1993 gehört zu den schwärzesten Stunden deutscher Nachkriegspolitik. Mit der Änderung des Wortlauts wurde die Würde von Menschen unter einen Verwaltungsvorbehalt gestellt. Die Änderung war der anschwellenden Progromstimmung gegen Flüchtlinge und Ausländer geschuldet, die in den 90er Jahren die CDU und CSU in ihrer hegemonialen Machtausübung bedrohte. Rechte Stimmenfänger wie NPD und Republikaner stellten die strukrurelle Mehrheitsfähigkeit des rechts-konservativen Lagers in Frage. Spätestens heute angesichts wieder ansteigender Flüchtlingszahlen ist offensichtlich, dass diese Verfassungsänderung keine Lösung herbeigeführt hat, sondern als reiner Wahl-Placebo verpufft ist.

Diese Beispiele machen deutlich, dass eine Verfassung nicht ein gesetzter Monolith ist, sonder dynamischen Prozessen unterliegt, die wesentlich von gesellschaftlichen Entwicklungen mit bestimmt werden. In der Auslegung und Anwendung der Verfassung spiegelt sich somit auch immer das historische Selbstbild der Gesellschaft.

Was bedeutet dies nun für die Verfassungsklage zu Edward Snwoden? Das Verfassungsgericht wird abwägen müssen, ob es übergeordnete Interessen der Bundesrepublik Deutschland gibt, die schwerer wiegen als das Auskunftsrecht des Parlamentes. Hier wird die Bundesregierung auf die besonderen Beziehungen mit und damit auf die Abhängigkeit von den USA verweisen. Es ist durchaus möglich, dass das Verfassungsgericht dieser Argumentation folgen wird.

Mit der Entscheidung des Verfassungsgerichts wird wieder einmal ein historischer Pflock in die Gesellschaft eingerammt, welcher das Verhältnis zwischen Parlament und Regierung austarieren wird. Entscheidend wird sein, wer das Interesse der Bundesrepublik Deutschland formulieren wird. Die Bundesregierung? Die Promi-Blogger in den Talk-Shows? Die Menschen auf Massenkundgebungen und Blockaden vor dem Dagger-Komplex? Es ist offensichtlich, dass die Richter in Karlsruhe hier eine komplexe Aufgabe vor sich haben, welche natürlich beinhaltet, in die Gesellschaft hinein zu horchen. Dort aber hat der Widerstand gegen Überwachung keine Stimme, keinen Resonanzraum und ist dementsprechend politisch bedeutungslos. Unter diesen Umständen ist eine prägende Wirkung auf das Urteil nicht zu erwarten.

Auf einen negativen Ausgang des Verfahrens ist der außerparlamentarische Widerstand gegen Überwachung darüber hinaus in keinster Weise vorbereitet! In seiner apolitischen Haltung wird er darauf keine Antwort geben können, da er in seiner vollständigen systemkonformen Diskursorientierung zu einem Schritt zurück, um das Gesamtsystem zu betrachten, nicht in der Lage ist.

Vergleichen wir dies einmal mit der Situation aktuell in Hong Kong. Auch hier wird gerade versucht, die Gesellschaft und das politische System neu auszutarieren. Die Zentralmacht Peking wünscht ein konformeres Hong Kong und schränkt die Freiheit der Bürgerinnen Hong Kongs über einen restriktiven Eingriff in die Kandidatenliste der Bürgermeisterwahlen ein. Das Überwachungsregime Pekinger Art ist bereits in den letzten Jahren Schritt für Schritt implementiert worden. Die Zentralregierung argumentiert zur Verteidigung ihres Vorhabens mit der politischen und wirtschaftlichen Stabilität, die ein höheres Gut darstellen würde als der Freiheitswillen der Bevölkerung.

Würde man das Ansinnen der Pekinger Zentralregierung mit 'marktonforner Demokratie' Made in China betiteln, wäre die hintergründige Parallelität zur gesellschaftlichen Herausforderung in Deutschland offensichtlich. Das Merkelsche Diktum der 'marktkonformen Demokratie' ist zum etablierten politischen Leitbild der Bundesrepublik Deutschland geworden, welches alternativlos von der Gesellschaft rezipiert wird.

Das Versagen der Demokratie- und Freiheitsbewegung - und damit auch der Überwachungsgegner - beruht nun darin, dieser schleichenden Vergiftung von Demokratie und Freiheit nie entschlossen genug entgegen getreten zu sein. Die Umwandlung unserer Gesellschaft von einem lebendigen Diskursbetrieb hin zu einer geölten Verwaltungsmaschine wurde gerade durch das Internet stark beschleunigt. Ein extremer Konformations- und Optimierungsdruck verhindert mehr und mehr das Denken in Alternativen - auch außerhalb des Systems. Wir haben de facto bereits den Zustand erreicht, dass selbst die Wahrnehmung von Systemproblemen als illegitime Systemkritik gebrandmarkt wird.

Und so spielt sich also der Widerstand brav zwischen Plakate kleben, Crypto-Parties, Talkshows und Ausschüssen ab. Damit hat er nicht mehr zu beiten als eine Reparaturfunktion an einem korrumpierten System - und strahlt dementsprechende Attraktivität und Vitalität aus, die eher an Schlaftabletten aus Leverkusen als an chinesisches Feuerwerk erinnert. Eine Aktion, die das In-Frage-Stellen der digitalen Revolution mit einem überbordenden Überwachungsregime auf die Straße und damit in den gesellschaftlichen Diskurs trägt, ist nicht in Sicht. Und Mutlangen wie Wackersdorf sind längst Geschichte.

Über die Revolutionsfähigkeit der Deutschen gibt es das geflügelte Lenin-Wort von der Bahnsteigkarte. Heute muss man konstatieren: Die Deutschen kaufen nicht mal mehr eine Bahnsteigkarte. Sie stehen brav in der Schlange vor dem geschlossenen Schalter und betrachten Katzenvideos auf ihrem Smartphone.

Zuletzt aktualisiert am Mittwoch, den 08. Oktober 2014 um 05:58 Uhr