'Freiheit statt Angst- jetzt erst recht!' Drucken

Aufruf zur Demonstration 'Freiheit statt Angst - jetzt erst recht!' in einem offenen Brief an Sigmar Gabriel, Vorsitzender der SPD.

 

An den Vorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands

Sigmar Gabriel

Willy-Brandt-Haus

Berlin

 

Sehr geehrter Herr Gabriel,

 

ich wende mich mit diesem Schreiben an Sie als einen der Politiker, der sich für eine kraftvolle Antwort der Zivilgesellschaft auf die verheerenden Terroranschläge von Paris einsetzt. Mit Ihrem Appell an die demokratische Parteien, Religionsgemeinschaften, Arbeitgeber, Gewerkschaften und Sozialverbände, für ein "friedliches und demokratisches Zusammenleben in Deutschland und Europa" zu demonstrieren, drängen Sie auf das notwendige Zeichen, welches wir dem Hass und der Intoleranz entgegen setzen müssen.

Durch die Veröffentlichung Ihres Appells wurde eine Diskussion angestoßen, in welchem Rahmen eine solche Demonstration stattfinden könnte. Ich möchte Sie, Herr Gabriel, dazu aufrufen, sich mit dem Appell auch an die Vielzahl an Gruppen aus der Zivilgesellschaft zu wenden und an bestehende Veranstaltungen anzuknüpfen, die bereits von einem breiten gesellschaftlichen Bündnis getragen werden.

'Freiheit statt Angst' – unter diesem Motto fanden bis 2014 über mehrere Jahre Demonstrationen für Meinungsfreiheit und gegen Zensur und Überwachung in Berlin statt, die von einem breiten politischen und gesellschaftlichen Spektrum getragen waren. Wenn heute nach den Anschlägen auf die Journalisten in Paris dazu aufgerufen wird, die Freiheit des Wortes und der Gedanken zu verteidigen und sich dem Terror nicht zu beugen, gibt es kein besseres Motto und keine besser Veranstaltung, an die sich anknüpfen ließe.

Denn das Motto 'Freiheit statt Angst' und der Charakter der gleichnamigen Demonstrationen weist noch auf einen weiteren Aspekt hin – auf die Besonnenheit der Gesellschaft angesichts der Bedrohung durch den Terrorismus. Eine angstvolle Reaktion mit einem massiven Abbau von Bürgerrechten wie nach den Anschlägen auf das World Trade Centre wäre der falsche Weg. Die Forderungen nach mehr Überwachung in Deutschland sowie der Einführung der Todesstrafe in Frankreich sind die falsche Antwort. Die Besonnenheit der Norweger nach den Morden in Oslo und Utöya sollten uns stattdessen Vorbild sein.

Wir dürfen Freiheit und Demokratie nicht dadurch verteidigen, dass wir diese grundlegenden und universellen Werte aufgeben und der Gesellschaft mit einem Korsett aus Überwachungsmaßnahmen, Gesetzesverschärfungen und Abgrenzungen die Luft abschnüren. Das Motto 'Demokratie statt Überwachung' war schon immer mit 'Freiheit statt Angst' verbunden. Und gerade jetzt ist es umso notwendiger, auf diese untrennbare Verbindung hinzuweisen, wenn die Gesellschaft dem Terror die Stirn bieten will.

Doch allein das Feiern der westlichen Werte auf Demonstrationen bietet auf die Dauer kein wirksames Bollwerk gegen Hass, Intoleranz Ausgrenzung und Terror. Die Werte der Aufklärung, die bei den Anschlägen in Paris attackiert wurden, müssen von den europäischen Staaten endlich wieder gelebt werden. Der Einsatz für die Freiheit des Wortes weltweit erfordert auch das Anprangern der verheerenden Menschenrechtsverletzungen in Rußland und China, den Widerstand gegen die Massenüberwachung und Folter durch amerikanische Geheimdienste, die Ablehnung menschenverachtende Gesetzgebungen wie der Scharia in arabischen Ländern.

Die westlichen Werte verlangen nach 'Haltung statt Unterwerfung'. Und deswegen darf es nicht dabei bleiben, dass hier in Europa Verteidigungslinien errichtet werden, aber gleichzeitig dem Terror durch Ignoranz und Opportunismus das Feld bereitet wird.

Zu dieser Haltung gehört untrennbar das Vorleben von 'Toleranz statt Ausgrenzung'. Unser Grundgesetz verankert die Würde des Menschen in seinem ersten Artikel. Dabei wird nicht unterschieden, woher die Menschen kommen, welche Hautfarbe sie haben oder welcher Religion sie angehören. Die Würde des Menschen ist unantastbar – immer und überall. Dies ruft die gesamte Gesellschaft in Deutschland dazu auf, genau dies Würde auch im Sinne des Grundgesetzes zu verteidigen. Jetzt ist es an der Zeit, deutlich zu machen, dass die Verteidigung der Menschenwürde nicht nur in Sonntagsreden, sondern auch im Alltag, insbesondere im Alltag von Politikerinnen, Politikern und Parteien, stattfindet ohne Rücksicht auf opportunistische oder machttaktische Überlegungen.

Der Einsatz für Freiheit, Demokratie und Tolrenaz darf keine Grenzen und keine Pausen kennen. Glaubwürdigkeit ist in dieser Auseinandersetzung das stärkste Argument, welches aber in den letzten Jahren durch gravierende Fehler beschädigt wurde.

Herr Gabriel, wenn es zu einer gemeinsamen Demonstration der Zivilgesellschaft für Demokratei, Freiheit und Toleranz kommt, dürfen Glaubwürdigkeit und Besonnenheit nicht auf der Strecke bleiben. Hier wartet eine schwere Aufgabe auf alle Menschen als Demokraten und Freiheitskämpfer, indem eine Haltung eingenommen wird, die eben diese Werte nicht mehr der Tagespolitik unterwirft, sondern als unveräußerlichen und zentralen Baustein einer gerechten und freien Gesellschaft global einfordert.

Daher fordere ich Sie nicht nur als Vorsitzender der SPD auf, sich in diesem Sinne für eine derartige Veranstaltung einzusetzen. Ich erwarte nun auch von Ihnen als Mitglied der Bundesregierung und als Wirtschaftsminister, dass die Haltung zu Demokratie, Toleranz und Freiheit sich endlich in der Politik niederschlägt und zu Konsequenzen führt. Deutschland muss endlich eine Politik betreiben, in der das tatsächliche Handeln mit den Verlautbarungen von Wertevorstellungen in Einklang gebracht wird.

Daher erwarte ich von Ihnen, Herr Gabriel, dass Sie sich für ein Ende der Massenüberwachung in Deutschland und ein Stopp der Diskussionen zur Vorratsdatenspeicherung einsetzen. Darüber hinaus erwarte ich von Ihnen, dass die Bundesregierung gegen die Folter des Journalisten und Bloggers Raif Badawi durch das religiös-fundamentalistische Regime in Saudi-Arabien protestiert und ein Ende der menschenverachtenden Strafe verlangt.

Herr Gabriel, Sie haben nun die Chance, an die große Tradition der Sozialdemokratie anzuknüpfen und sich für umfassende Menschenrechte weltweit einzusetzen. Nutzen Sie diese Chance nun wahrhaftig und verzichten Sie auf taktische Überlegungen, die wieder nur die Glaubwürdigkeit der Staaten beschädigen, die gerade zum Einsatz für Demokratie, Freiheit und Toleranz aufrufen.

 

Mit freundlichen Grüßen

 

Jürgen Blümer

Drensteinfurt

 

Zuletzt aktualisiert am Samstag, den 10. Januar 2015 um 13:43 Uhr