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Wider die Empörungsindustrie PDF Drucken E-Mail

 

Der Widerstand gegen Verfassungsbruch und Massenüberwachung kommt schwer bis gar nicht auf die Beine. Die Zivilgesellschaft erscheint lobotomisiert an dieser sensiblen Stelle unseres Gemeinwesens. Eine Ursache dafür ist die einschläfernde Wirkung der Empörungsindustrie aus Bloggern, Autoren und Politikern.

 

Wie wäre die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland verlaufen, wenn es in den 70er Jahren bereits den Online-Dienst Twitter gegeben hätte? Hätten die Aktivisten gegen den Bau des Kernkraftwerks Wyhl sich auch auf Facebook getroffen, um sich gegenseitig ihre Empörung zu bekunden? Hätten sie sich per What's App verabredet, um die ersten Demos zu organisieren?

Wer sich die Geschichte des politischen Widerstandes in Deutschland anschaut, der wird rasch feststellen, dass die entscheidenden Auseinandersetzungen auf der Straße und an den konkreten Orten massiven Staatsversagens stattgefunden haben: an Kasernen, Kernkraftwerken, Endlagerstandorten, Dünnsäure-Verladerampen, FCKW-Fabriken, und so weiter. An einer Vielzahl kleinerer und größerer Aktionen dieser Art habe ich selber teilgenommen.

Wir - und damit meine ich die tausenden von Menschen, die damals mit mir unterwegs waren - haben im vergangenen Jahrhundert für diesen Widerstand die ganze Republik bereist - zuerst nur im Westen, später dann (aber auch seltener) den Osten. Es waren immer Begegnungen von Menschen, die aus der Empörung heraus sich selbst in Bewegung gesetzt haben, um dem offensichtlich Unrecht etwas physisches in den Weg zu stellen - sich selber! Uns war stets bewusst, dass nur das Zeugnis der eigenen Aktion genügend Kraft ausstrahlen kann, um in die bürgerliche Zivilgesellschaft hinein zu wirken, um dort ein umdenken auszulösen.

Als die Neonazis die Brandanschläge gegen Ausländer verübten, hat sich die bürgerliche Zivilgesellschaft auf die Straße begeben mit Mahnwachen und Lichterketten und eben KEINE Empörungsklicks ausgeführt. Es gab schlichtweg keine andere Möglichkeit, seine persönliche Haltung zu zeigen.

Mit dem Einzug des Internets und der sozialen Medien in die Wohnzimmer der Republik ist die Kultur des politischen Widerstandes in weiten Teilen der Gesellschaft verödet. Sicher, dort wo man auf 'Veteranen' des ökosozialen Widerstandes trifft, funktioniert die Mobilisierung für die Straße noch leidlich. Informationsaustausch und Mobilisierung für Petitionen gegen Fracking und TTIP laufen gut. Jedoch steht die Zahl der wirklich Aktiven in einem krassen Missverhältnis zu den bereits informierten Menschen.

Zur Kernschmelze des Widerstandes kommt es dabei beim Thema 'Überwachung', weil sich dort die aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen fatal verstärken. Zum einen sind die primär betroffenen Menschen - also jene, die initial aktiv werden müssten - eben nicht durch eine Kultur der Begegnung geprägt. Ihnen reicht der Austausch über das Internet und die physische Bewegung - insbesondere, wenn sie politisch motiviert ist - wird geradezu verabscheut. Zum anderen sind in dieser Gruppe der 'Digital Natives' die persönlichen und technischen Fähigkeiten zur begegnungslosen Kommunikation derart hoch entwickelt, dass sich eine Vielzahl an Kanälen modellieren lassen, über die aufgestaute Empörung abfließen kann.

Wer seine Meinung über Twitter und WordPress instantan mit der gesamten Welt teilen kann, wer sich auf Kongressen und Camps unter seines gleichen empört aufgehoben fühlt, wer seine eigene Meinung täglich in der wohligen Nerd-Blase wiederfindet, der sieht keinen Grund mehr, auf die Straße zu gehen. Und es bleibt ja auch keine Zeit mehr zwischen Online-Präsenz und Lebensoptimierung, um sich auf so etwas wie eine Mahnwache vor dem SPD/CDU/CSU-Abgeordnetenbüro vorzubereiten.

Und in dieser Situation, wo eben die bürgerliche Zivilgesellschaft nicht Gesicht zeigt, um für Demokratie und Freiheit auf die Straße zu gehen, läuft auch der politische Betrieb leer. Was konkret heißt, dass die PolitikerInnen ihre parteipolitischen Rivalitäten weiterhin austragen können, ohne dass sie Gefahr laufen, als Lösungsverhinderer öffentlich an den Pranger gestellt zu werden. Wenn die aktuellen Skandale von BND und NSA Ausdruck einer Systemkrise sind, dann kann die Lösung nicht aus dem System heraus kommen. Wenn das Parlament seine von der Verfassung vorgegeben Kontrollpflicht nicht mehr ausüben kann, delegitimiert sich nicht nur ein Verfassungsorgan, sondern das gesamte System.

Wer aber als PolitikerIn oder JournalistIn teil des Systems mit all seinen Abhängigkeiten und Verknüpfungen ist - wie könnte diese Person das ihn fürsorglich umgebende System in Frage stellen?

Wie kommen wir nun aus dieser Nummer raus? Klar ist - weder die Bloggosphäre noch die politischen Parteien können diesen Job für uns erledigen. Sie können nützliche Hilfsmittel sein und sollten auch dementsprechend eingesetzt werden - mehr aber auch nicht. Vielmehr geht es darum, wieder deutlich zu machen, wie sehr es auf JEDEN EINZELNEN Menschen dort draußen ankommt. Und zwar auf Menschen, die bereit sind, für ihre Haltung und Meinung auf die Straße zu gehen.

Dazu bedarf es eines Lernprozesses, der vermutlich lange dauern wird. Die Diskursfähigkeit der bürgerlichen Zivilgesellschaft muss wieder zurück gewonnen werden - und das können wir eben nicht ATTAC, CAMPACT, der LINKEN, den GRÜNEN oder den PIRATEN überlassen (dem Rest des politischen Spektrums kann man getrost den Willen dazu absprechen). Wir müssen uns wieder selbst ermächtigen, unsere Meinung auf der Straße kund zu tun - und eben nicht nur im Internet, wo diese vom Katzenvideos weggespült wird.

Persönliche Schlussbemerkung:

Am 11.10. ist TTIP-Aktionstag. Wir werden in Drensteinfurt mit einer kleinen Gruppen aus Bürgerinitiative und GRÜNEN vor Supermärkten stehen, Unterschriften einsammeln und über die Fracking-Situation in Nordrhein-Wrstfalen aufklären. Nachmittags werde ich auf einer Veranstaltung in Münster zu dem gleichen Thema sprechen. Beide Veranstaltungen werden keine Massen in Bewegung setzen, aber ich mache deutlich: Das ist meine Meinung und ich bin bereit, öffentlich dafür einzustehen. In zwei Wochen werde ich 90.000 Unterschriften gegen Fracking auf der Umweltministerkonferenz in Heidelberg übergeben - Unterschriften, die von zahlreichen Menschen in ganz Deutschland eingesammelt wurden - ohne Unterstützung von CAMPACT oder ATTAC.

Widerstand lässt sich weder delegieren noch digitalisieren - Widerstand ist Handarbeit.

Zuletzt aktualisiert am Mittwoch, den 08. Oktober 2014 um 07:05 Uhr