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Warum schaffen es die Überwachungsgegner nicht, den Widerstand gegen die Massenüberwachung zu organisieren?

 

Die Anti-AKW-Bewegung ist in den 1970er Jahren aus der außerparlamentarischen Opposition entstanden und hatte sehr schnell auch die Systemfrage gestellt: Mit welchem Energiewirtschaftssystem wollen wir arbeiten und passt unsere Gesellschaft dazu? Wesentliche Veränderungen wurden in Gang gebracht, die zu einer Liberalisierung und Dezentralisierung auf dem Energiemarkt geführt haben. Der gesamte Umbau der Energieerzeugung in Deutschland ist heute ein nationales Projekt, dass bis nach Europa ausstrahlt.

Die Anti-Massentierhaltungs-Bewegung ist in den 1990er Jahren aus der außerparlamentarischen Opposition entstanden und hatte sehr schnell auch die Systemfrage gestellt: Mit welchem System wollen wir uns in Zukunft ernähren und passt unsre Gesellschaft dazu? Wesentliche Veränderungen sind auf den Weg gebracht worden, die Forderung nach regionaler Vermarktung ist sogar bis auf die europäische Bühne gelangt. Der Fleischkonsum ist rückläufig, der Markt an Bio-Lebensmitteln boomt.

In beiden Fällen vollzog die Politik lediglich den gesellschaftlichen Wandel nach, der sich längst mehr oder weniger massiv Bahn gerochen hatte. Heute gibt es über das gesamte Land verteilt Solaranlagen und jede Kantine bietet mindestens ein vegetarisches Gericht täglich an.

Ganz anders die Situation beim Überwachungsskandal. Man muss feststellen, dass eine außerparlamentarische Bewegung nicht existiert. Stattdessen gewinnt man den Eindruck, dass die Politik dieses Thema längst in Geiselhaft genommen hat und so den dringend notwendigen politischen Diskurs erstickt.

Es vergeht keine Woche, in der nicht neue Ungeheuerlichkeiten über Geheimdienste und Internetkonzerne aufgedeckt werden. Wir haben es sozusagen mit permanentem Fukushima oder ständiger Pferdefleisch-Lasagne zu tun, je nach Gewichtung des Skandal-Ausmaßes. In den Medien wird das Thema breit diskutiert und immer finden sich Promi-Blogger und Politiker, die Stellungnahmen dazu abgeben. Das ganze findet politisch jedoch keinen Widerhall.

Es fehlt ganz grundsätzlich an der Resonanz in der Bevölkerung. Und das hat wesentlich zwei Gründe. Zum einen ist offensichtlich, dass das Thema Überwachung zu weiten Teilen der Profilierung von Politikern dient, aber nicht als Systemfrage (s.o.) in den Diskurs eingebracht wird. Diskurs-Killer sind hier SPD und Grüne, denen es nicht gelingt, eine klare Position zu beziehen. Zum anderen beschäftigt sich die außerparlamentarische Opposition in Cryptoparties wesentlich mit sich selber und spielt dabei auch noch den 'Cyber-Reparateur' an einem korrumpierten System. Hier tun sich insbesondere die Piraten hervor.

Die Botschaft, die in beiden Fällen von der Politik transportiert wird, ist fatal: Wenn wir als Politiker das Problem nicht ernsthaft in unsere Agenda übernehmen, warum soll ich mich als BürgerIn dann damit auseinandersetzen? Wenn man fünfzig mal 'Verfassungsbruch' gerufen hat, müssen irgendwann auch mal Konsequenzen her, sonst wird aus den berechtigten Protestäußerung ermüdender Alarmismus. Um das mal an einem einfachen Beispiel zu verdeutlichen: Niemals hätten sich die Grünen an einer Regierung in Bund oder Land beteiligt, die sich nicht dem Atomausstieg verschrieben hätte. Wenn aber die NRW-Grünen Edward Snowden die Unterstützung im Landesparlament verweigern, wird dies mit 'Koalitionsdisziplin' schön geredet. Für die SPD gilt gleiches – man muss nur Atomausstieg durch 'Mindestlohn' ersetzen.

Und so ist es den anderen Parteien ein einfaches, die Bürgerbewegung zu ersticken, sei es, um an der Macht zu bleiben (CDU und CSU), sei es, weil es einfach nicht zu den inhaltlichen Kompetenzen der Partei passt (AfD und Linke). Als Konsequenz gibt sich die Bevölkerung entweder mit dem Status der Aufarbeitung zufrieden oder hat bereits resigniert.

Was muss aber nun von den außerparlamentarischen Überwachungsgegner-Gruppen getan werden, um eine Bürgerbewegung wie zur Atomenergie, Massentierhaltung., Atomrüstung oder Klimaschutz auf die Beine zu stellen? Als aller erstes muss das Thema endlich dem parteipolitischen Diskurs entrissen werden. Es reicht eben nicht aus, dass Promis und Politiker auf Kongressen und Ausschüssen sich mit dem Thema befassen. Dort findet nur noch eine Lösungsfindungs-Simulation statt, da sich die beteiligten Menschen auch gedanklich nur noch innerhalb des bereits existierenden Systems bewegen.

Zum anderen muss deutlich gemacht werden, dass die außerhalb des parteipolitischen Betriebes zu stellende Systemfrage eine Frage gesellschaftlicher Relevanz ist, die sich nun einmal nicht an eine Hand voll Politiker und Promi-Blogger delegieren lässt. Sie ist von derartiger Relevanz, dass eine harte politische Auseinandersetzung dazu geführt werden muss – und zwar nicht auf den Feuilleton-Sesseln, sondern auf dem Asphalt vor dem Dagger-Komplex.

Nun wird sich aber weder Sascha Lobo vor ein BND-Tor ketten noch die Truppe der Digitalen Grünen das Einfahrttor vom NSA-Überwachungskomplex in Bad Aiblingen blockieren. Und es ist auch nicht zu erwarten, dass auf Crypto-Parties der Piraten plötzlich die Mitte der bürgerlichen Gesellschaft auftaucht.

Bei der Anti-AKW-Bewegung hieß es bei den letzten Castor-Transporten: „Atomausstieg ist Handarbeit“. Damit wurde auch eine offensive und selbstbewusste Position gegenüber dem eingerosteten Polit-Betrieb demonstriert. Dem Widerstand gegen Überwachung fehlt diese Grundhaltung. Um diese zu entwickeln, muss mehr gehandelt und weniger geredet werden.

Zuletzt aktualisiert am Samstag, den 20. September 2014 um 21:08 Uhr